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Modell zum Entstehen tiefer Erdbeben

Um das Entstehen mechanischer Instabilitäten in der ``transition zone'' erklären zu können, ist es notwendig, die Rheologie der subduzierenden Lithosphäre in diesem Tiefenbereich zu untersuchen (einen ausführlichen Überblick dazu findet man z.B. bei (Karato(1996))).

Die rheologischen Eigenschaften der Mantelminerale in der Übergangszone sind abhängig von ihrer Kristallstruktur, der Temperatur, und auch - im Bereich des Diffusionskriechens - von ihrer Korngröße. Die subduzierende ozeanische Lithospäre besteht dabei, gemäß dem Pyrolitmodell von Ringwood [1982, 1991], unterhalb von 200 km Tiefe hauptsächlich aus Olivin ($\sim$ 60%) sowie aus Pyroxen und Granat in der Stöchiometrie MSiO3 - Al2O3, mit M = Mg,Fe,Ca ($\sim$ 40%). Ab 300 km Tiefe beginnt sich Pyroxen zunehmend in der Granatphase zu lösen, so daß bei einer Tiefe von ungefähr 460 km nur noch Granat neben Olivin vorhanden ist. Ausgehend davon, daß die Rheologie in diesem Tiefenbereich durch die rheologisch ``schwächere'' Phase, d.h. Olivin, bestimmt wird, haben (Goetze und Evans(1979)) die Kriechfestigkeit abtauchender ozeanischer Lithosphäre auf der Grundlage experimenteller Ergebnisse zum Dislokationskriechen bzw. Peierls-stress limitiertem Kriechen in Olivin bestimmt.
Durch die verschieden einsetzenden Hochdruck-Phasenübergänge, insbesondere durch den Olivin-Spinell Übergang, wird die rheologische Struktur der Platte erheblich kompliziert. Sowohl die freiwerdende latente Wärme als auch die mit dem Übergang unter Umständen verbundene Korngrößenreduktion um mehrere Größenordnungen haben erheblichen Einfluß auf das Kriechverhalten des subduzierenden Gesteins; die Umwandlung von Olivin in $\beta$- bzw. $\gamma$-Spinell ist vom rekonstruktivem Typ und daher mit einer Änderung von spezifischem Volumen und Entropie verbunden (Phasenübergang 1. Art). Durch eine Reihe von detaillierten Untersuchungen der bei dem Übergang auftretenden Mikrostrukturen konnte nachgewiesen werden, daß unter den Bedingungen geringer äußerer Streßgradienten (d.h. unter den Bedingungen des Erdmantels) die Kinetik des Überganges vom Keimbildungs-Wachstums-Typ ist ((Brearley et al.(1992); Brearley und Rubie(1994); Fujino und Irifune(1992))). Die Spinellphase entsteht dabei bevorzugt als Ergebnis heterogener Keimbildung entlang den Korngrenzen der Olivin-Mutterphase, und wächst dann von dort aus in das Innere der Olivinkörner hinein.
Die Modellierung von Keimbildungs-Wachstums-Prozessen auf der Grundlage der klassischen Theorie nach Johnson und Mehl [1939] und Avrami [1939, 1940, 1941] erfolgte zunächst unter der Annahme der räumlichen Homogenität der Spinell-Keimbildung ((Daß-ler und Yuen(1993); Daßler et al.(1996))). Eine Verallgemeinerung auf heterogene Keimbildung an bevorzugten Korngrenzen der Mutterphase wurde erstmalig im Sinne eine mean-field Theorie von (Cahn(1956)) entwickelt. Daran anknüpfend, haben (Riedel und Karato(1996b)) mit Hilfe von Computersimulationen die mikrostrukturellen Eigenschaften der Produktphase bei Korngrenzen-Keimbildung, in Abhängigkeit von einer dabei möglichen Korngrößenreduktion, untersucht (siehe Kapitel 4).
Zeitlich veränderliche p,T-Bedingungen bei der Modellierung heterogener Keimbildungs-Wachstums-Prozesse wurden erstmals xivon (Rubie und Ross II(1994)) berücksichtigt, auf der Grundlage einer Modifizierung der kinetischen Gleichung von (Cahn(1956)). Alternativ dazu entwickelten (Riedel und Karato(1996a)) ein numerisches Verfahren zur Lösung der Cahn-Gleichung (Abschnitt 4.4), welches deutlich den numerischen Aufwand bei der Modellierung verringert und somit die Möglichkeit eröffnet, im Rahmen verfügbarer Rechenzeit kinetische Modelle für eine abtauchende lithospärische Platte als Ganzes (zweidimensionales Modell) zu lösen.

Die Ergebnisse dieser geodynamischen Modellierung wurden zur Herbsttagung der AGU im Dezember 1995 vorgetragen und sind inzwischen zur Veröffentlichung eingereicht (Riedel und Karato [1995, 1996a]).

Es zeigte sich, daß schnell abtauchende Platten (v$_{slab} \sim$ 10 cm/yr) bei ihrem Subduktionsprozeß durch die ``transition zone'' zwischen 410-660 km Tiefe sehr wahrscheinlich im Innern eine lokale Schwächung ihrer Kriechfestigkeit erfahren. Die Ausprägung einer solchen Schwächezone ist extrem temperaturabhängig und tritt nur im Kern von solchen Platten auf, die im Innern Minimaltemperaturen von ca. 850 K (570 $\hbox{$^\circ$}$C) erreichen ((Riedel und Karato(1996a))). Durch das Wechselspiel der Einflußgrößen Temperatur, Korngröße und Kristallstruktur (Olivin- bzw. Spinell-Kriechen) entsteht dabei ein kompliziertes rheologisches Profil, das in keiner Weise mehr auf die (bisher postulierte) Existenz eines undeformierbaren kalten ``elastischen Kerns'' innerhalb der Platte hinweist ((Turcotte und Schubert(1982); Wortel und Vlaar(1988); Wortel(1982))).

Es ist bekannt, daß große Teile der Deformationsenergie abtauchender Platten wahrscheinlich in lokalen Scherzonen akkumuliert sind. Solche lokalen Scherzonen können entweder bereits in der Struktur der Platte pre-existent sein ((Silver et al.(1995))) oder aber erst später, z.B. durch den Olivin-Spinell Phasenübergang, initiiert werden. Gerade die Ergebnisse zur Bildung von Anti-Riß-Verwerfungen ((Burnley et al.(1991))) legen eine solche Möglichkeit nahe. Das gleichzeitige Auftreten von

stellt eine außergewöhnliche Kombination thermo-mechanischer Materialeigenschaften zwischen 450-600 km Tiefe dar.


Das Bild, das sich aus diesem thermo-kinetischen Modell ergibt, legt nahe, daß gleichzeitig mit der Ausprägung einer internen Schwächezone die Entstehung einer Niedrigdruckzone im Innern der Platte verbunden ist, da der umgebende Mantel bei $\sim$ 550 km Tiefe nicht mehr ungehindert den Dichtesprung von $\sim$ 8% zwischen Olivin und Spinell akkomodieren kann (ober- und unterhalb geringere Kriechraten). Dies steht in gewisser Analogie zu der Beobachtung eines Druckabfalls beim B1 $\to$ B2 Übergang von Alkalihalogeniden in der Diamantstempelkammer, vgl. dazu Kapitel 5.


Im Ergebnis wird daher sehr wahrscheinlich eine von außen seitlich auf die Platte wirkende (kompressive) Scherkraft erzeugt (Fig. 11 aus (Riedel und Karato(1996a))).

Bruchflächen tiefer Erdbeben sollten sich aus dieser Sicht daher nicht nur im zentralen Teil der Platte, sondern bevorzugt in den äußeren Regionen der Platte befinden. Die Existenz einer zusätzlichen, seitlich wirkenden (kompressiven) Scherkraft wäre auch eine natürliche Erklärung für das wiederholt beobachtete Auftreten von Begleitbeben (``aftershocks'') mit nahezu derselben Intensität ((Estabrook und Bock(1995); Okal und Kirby(1995))), die ansonsten schwer verständlich sind ((Kirby et al.(1996); Kirby(1995))).

Der metastabil verzögerte Olivin-Spinell Übergang ist also in diesem Modell sowohl indirekt, als Ursache für die Erzeugung einer (zusätzlichen) dynamischen Scherkraft, als auch direkt, als Triggermechanismus, für die Auslösung tiefer Erdbebens verantwortlich. Als mögliche Auslösemechanismen werden dabei in der Literatur die Entstehung von Anti-Riß-Verwerfungen ((Burnley et al.(1991); Burnley und Green II(1989); Liu und Yund(1995))) oder auch das Auftreten adiabatischer Scher-Instabilitäten ((Hobbs und Ord(1988); Ogawa(1987))) im kalten Plattenkern diskutiert.

Das traditionelle Bild der Geophysik, die subduzierende Lithosphäre als ``stress-guide'' für die Plattentektonik anzusehen, d.h. ihr die Fähigkeit zuzuschreiben, elastische Spannungen auch in einen tieferen Bereich des Erdmantels übertragen zu können (vgl. (Turcotte und Schubert(1982))), ist bereits in einigen Subduktionsgebieten des Westpazifik durch Ergebnisse der seismischen Tomographie zunehmend in Zweifel geraten. ``slab bending'' und ``slab detachment'' sind in diesen Gebieten im Tiefenbereich zwischen 410 km und 660 km sehr häufig beobachtete Phänomene ((Yoshioka und Wortel(1995); van der Hilst et al.(1991); van der Hilst(1995))). Das hier vorgestellten Modell einer rheologischen Schwächung des kalten Kerns schnell abtauchender Platten gibt einen neuen inhaltlicher Ansatzpunkt zum Verständnis dieser Phänomene.



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Michael Riedel
10/6/1997